Nora Dürig

Nora Dürig, ehemalige Balletttänzerin am Ballett Zürich, konnte in der Phase ihrer beruflichen Transition durch die SSUDK unterstützt werden. Wir haben Sie getroffen und durften Ihr einige Fragen zu Ihrem spannenden Lebensweg stellen und konnten sehen, wie Sie sich vertrauensvoll den Herausforderungen während der Transitionsphase gestellt hat. Nun ist „Alles im Lot“ und Nora ist in Ihrem neuen Berufsfeld angekommen.

Was hat Dich während Deiner Karriere am meisten geprägt?
Der Moment von daheim, in die Ballettschule nach Deutschland, wegzuziehen und zu merken, dass es jetzt Ernst werden könnte. Dann natürlich den ersten Job zu bekommen und damit wirklich Geld zu verdienen, plötzlich mit dem Engagement in Zürich, das ist sehr toll gewesen. Beim ersten Lohn, das weiss ich noch genau, dachte ich mir, das kann gar nicht sein, dass ich damit jetzt Geld verdiene! Und dann gab es sicher einzelne Vorstellungen, wo alles fliesst und ich nicht überlegen und denken musste. Von den Momenten gibt es ja nicht so viele. Das war für mich die besonders wertvoll.

Ich habe immer gesagt, ich schaue was kommt und bin offen dafür, was passiert. Ich habe mit Rhythmischer Gymnastik angefangen und bin dann später ins Ballett gekommen. Dann wurde mir gesagt, ich werde Modern Tänzerin und ich habe mich gefragt, was das ist und dann wurde ich doch Balletttänzerin. Das war dann gut für mich. Der Weg war nicht von Anfang an klar, auch vom familiären Background nicht. Wir sind Schritt für Schritt da rein gekommen, da wir das anfangs nicht kannten. Auch als es dann plötzlich hiess, ich könnte ins Ausland gehen, um die Schule fertig zu machen.

Und Du hast Dich in all diesen Findungsperioden von deinem Umfeld unterstützt gefühlt?
Ja, sehr. Da war immer eine grosse Unterstützung. Wir gingen ja auch etwas nichtsahnend da ran, was ich denke gar nicht so schlecht ist, so ein wenig blauäugig an die Sache heranzugehen.
Das war eine gute Erfahrung und sehr unkompliziert, auch von meinen Eltern. Wenn ich daran zurück denke, bemerke ich erst, was da alles passiert ist. Jetzt können wir gut drüber lachen, da wir keine Ahnung von irgendwas hatten, wie Wettbewerbe und so…das war schon spannend.

War der Abschied von deiner tänzerischen Karriere, genauso fliessend oder was war der Auslöser dafür, dass Du gewusst hast: so, jetzt höre ich damit auf?
Ich glaube, früher habe ich mir weniger Gedanken gemacht. Ab Mitte 20 war es dann ein bewussterer Prozess. Das war für mich ein prägender Moment. Ich musste mir mehr Fragen stellen, wo hin es gehen und was ich machen könnte. Ab da habe ich mir mehr Gedanken gemacht, auch wie ich meinem Umfeld gegenüber handle. Durch das wurde es zu einem anderen Wechsel, da es auch ein wenig überlegter war. Was es schlussendlich zu dem Moment kommen liess, Abschied von der Karriere zu nehmen, das waren viele verschiedene Kleinigkeiten, kleine Faktoren über die Zeit. Das ist ein Prozess, mit dem ich mich über längere Zeit befasst habe. Der Abschied war dann ein tieferer Schritt als der Moment, in dem ich als professionelle Balletttänzerin begonnen habe zu arbeiten. Der Anfang ging fast von alleine.
Ich habe insgesamt 8 Jahre in Zürich getanzt und hätte noch länger tanzen können, aber mit 27 war es dann für mich Zeit für einen Wechsel.

Wusstest du, dass es eine Umschulungsstiftung gibt oder wie hast Du davon erfahren?Nein, ich kannte die Stiftung nicht. Ich hatte keine Ahnung. Ich weiss noch, als ich die Entscheidung traf, da war vieles unklar. Man muss das fast ein Jahr im Voraus machen mit dem Auflösungsvertrag, wenn man das korrekt machen will. Ich dachte zu dem Zeitpunkt, eventuell braucht es einfach einen Wechsel in eine andere Compagnie und ging dann noch an anderen Orten vortanzen. Doch je länger ich das gemacht habe, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich mir eingestehen darf, dass ich in dem Berufsfeld nicht mehr so daheim bin. Dann ein halbes Jahr nach der Kündigung habe ich mir gesagt, ich mache keine Vortanzen mehr. Es war mir klar, dass es für mich nicht mehr stimmt. Und dann hatte ich keine Ahnung, wie es weitergehen könnte. Ich wusste einfach, Ballett ist es nicht mehr. Dann wurde mir das RAV zur Unterstützung empfohlen, denn nicht mal das kam mir in den Sinn. Ich dachte mir, das geht nicht, wenn man selbst kündigt. Das war mir alles völlig neu. Ich dachte, ich muss vom Ersparten leben und zusätzlich noch arbeiten. Als Company Speaker hatte ich regelmässig Kontakt zu Oliver Dähler, der zu der Zeit Ansprechperson des SBKV für Tänzer*innen war. Wir waren in intensivem Kontakt für die Erneuerung des Hausvertrages und zu dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung für mich klar war aufzuhören, kontaktierte ich ihn, um zusammen zu sehen, was es für Möglichkeiten für mich geben könnte. Wir haben uns ausgetauscht und das hat sehr gut getan. Da wurde mir bewusst, dass es da einen Weg geben könnte.

Was hat dich während diesem Prozess am meisten beschäftigt oder worüber hättest du Dich gerne mehr ausgetauscht?
Der Austausch war da. Schlussendlich muss man selber rausfinden wohin es geht und das ist das Schwierige. Die Angst, wie ich das überleben kann, hat mich sehr beschäftigt. Irgendwo muss das Geld ja reinkommen. Es war nicht das Thema, dass ich nichts finden könnte, was mir gefällt. Aber was das sein sollte, war anfangs nicht klar. Für mich war es eine gute Entscheidung von Anfang an frei vom Ballett zu sein. Ich habe Ballett sehr gerne gemacht aber der Zeitpunkt zum Abschied war für mich richtig. Ich glaube die Angst, kein Geld zu verdienen, diese war für mich am grössten.

Es gibt ja viele Yoga Studios in Zürich. War hier nicht auch der Gedanke, ob Du damit überleben kannst noch präsenter?
Ich habe mein Yogastudio bereits vorher aufgebaut und an gewissen Abenden nach den täglichen Proben unterrichtet. Das existierte schon. Aber ich habe gemerkt ich möchte nicht nur das und in der Szene gibt es zu viele. Ich bin auch nicht der Typ, der daraus einen Hype machen möchte um die Community zu leben. Deshalb war für mich klar, ich möchte noch etwas mehr für die nächsten 30 Jahre, zur Ergänzung in diesem Feld. So kam ich immer wieder auf «Rolfing Therapeutin» und habe schlussendlich ein Jahr nach der Beendigung der Ballettkarriere mit der Rolfing Ausbildung angefangen.

Wobei konnte Dir die Stiftung helfen?
Die SSUDK konnte mir während der Rolfing Ausbildung finanziell unter die Arme greifen, da diese sehr teuer war. Das hat mir einen Puffer gegeben. Zusammen mit dem RAV Minimalbetrag bin ich so über die Runden gekommen.
Durch die Unterstützung der Stiftung hatte ich einen gewissen Rückhalt, was war für mich eine riesen Erleichterung war. Ich habe die Intensiv Variante der Ausbildung zur Rolfing Therapeutin gewählt, bei der man Vollzeit während ca. einem Jahr in München studiert.

Wie hat sich dein Leben seitdem verändert?
Mein Leben hat sich seitdem sehr verändert. Ich glaube der grösste Unterschied ist, dass ich selbst mein Chef bin. Dass mir niemand sagt, wann ich Ferien machen kann und dass es durch das Jahr keine Ferien geben darf und so. Auch dass es unter der Woche keinen freien Tag geben darf. Das ist jetzt alles meine Entscheidung, das ist ein grosser Unterschied. Zudem bin ich viel mehr allein, was am Anfang eher schwierig war. In der Compagnie hat man immer um die 50 Leute um sich, was seine Vor- und Nachteile hat. Auch der jetzige Zustand hat seine Vor- und Nachteile. Ich habe nun eine eigene Praxis in Zürich Enge und einmal pro Woche bin ich in Rapperswil in einer Praxis mit einer Kollegin, was zusätzlich ein guter Austausch ist.
Organisatorisch bedeutet es auch viel Neues. Im Ballett wird einem alles parat gemacht. Ich musste die Choreografie können, was sehr anspruchsvoll ist, aber der Rest wurde mir abgenommen. Und für die Vorstellung musste ich mich schminken und meinen Pass nicht vergessen, wenn wir auf Tournee waren. Aber alles andere wurde organisiert. Jetzt mache ich auch die Buchhaltung und die Finanzen selbst. Es ist keine komplizierte Buchhaltung und ein Kollege hat mir die Konten und Gegenkonten eingerichtet. Das hat am Anfang überhaupt nicht gestimmt, aber jetzt klappt das wunderbar.

Du klingst so, als wärest Du voll in deinem neuen Berufsfeld angekommen.
Ja, voll! Es ist spannend, vorher waren die Füsse und Beine wichtig und jetzt die Arme und Hände. Heute kam eine Tänzerin von der Ballettschule zu mir ins Rolfing, die ein Problem mit der Achillessehne hat und ich konnte ihr zeigen, wie ich früher das Spitzenschuh-Bändel rund um den Fuss gebunden und zusätzlich einen Gummi reingenäht habe. Das ist super, da ich sehe, ich kann mit meinen Erfahrungen von früher helfen und ich kann aber auch was Neues dazu bieten. Es geht nicht nur um die Spitzenschuhe sondern auch um das, was ich mit den Händen gelernt habe, sozusagen.

Du hörst Dich auch richtig erfüllt an mit dem, was Du machst!
Ja, total. Ich wusste ja nicht wie ich reagiere physisch und psychisch, wenn ich aufhöre. Es war nicht klar, ob ich etwas total vermissen werde. Am Anfang habe ich noch viel trainiert, da mir das gut getan hat. Jetzt trainiere ich nicht mal mehr, weil ich gemerkt habe, dass es nicht mehr das ist, was ich wirklich brauche. Es ist auch eine körperliche Veränderung. Ich war gewöhnt auf der Spannung zu arbeiten und das fühlt sich auch noch gut an und es ist gut, weil man das Gefühl hat, man ist parat. Der Körper muss sich dann umgewöhnen, dass die Spannung nicht mehr da ist und dass es sich anders im Körper anfühlt. Das war auch noch ein Prozess, den ich jetzt nicht mehr so präsent habe, aber ich weiss, das war am Anfang schwierig. Das dauerte lange, so ca. ein Jahr, bis ich mich wieder daheim gefühlt habe.

Was würdest Du deinen Kollegen aus deiner Warte mitgeben wollen, die in einer ähnlichen Situation sind?
Ich denke, dass man nicht von Anfang an wissen muss, was es wirklich sein wird, das man später ausüben möchte. Ich wusste zuerst nicht was ich den Leuten sagen soll, wenn sie gefragt haben: Und was machst Du jetzt? Ich habe nur gemerkt, dass es mich beschäftigt, wenn sie mir so eine Art Vorwurf machen. Irgendwann können wir nicht mehr tanzen, das ist ja in einer Art und Weise vorhersehbar. Ich habe dann gesagt, dass ich mir eine Auszeit nehme und das wurde dann akzeptiert, da ich zu dem Zeitpunkt keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte. Dann war es für alle so irgendwie klar, aha, sie nimmt sich jetzt eine Auszeit. Sie haben dann auch nicht weiter gefragt und das hat dann den Druck weggenommen. Das hat mir gut getan.
Das Vertrauen zu haben, dass es auch ok ist, wenn man nun wirklich ein Jahr mal nicht weiss, wie es genau weiter gehen sollte. Das auszuhalten, das ist schwierig. Auch das Vertrauen zu haben, dass irgendwas auf mich zukommt, dass ich nicht suchen muss, sondern ich mich ein wenig zurücklehnen und den Trichter oder den Fächer aufmachen darf. Ich habe Sachen gemacht, die ich jetzt nie mehr brauche, aber es war gut mal zu probieren und herauszufinden, wo es hingehen könnte. So wie ein Trichter oder ein Sieb und am Schluss kommt schon das Richtige, die Essenz raus und es wird klarer. Ich finde es auch wichtig mit Leuten zu reden, bei denen man weiss, es gibt da eine gute Verbindung oder man hat einen guten Draht zu ihnen. Es müssen auch nicht Leute sein, bei denen man das Gefühl hat, man geht in dieselbe Richtung, sondern es geht um den Austausch, der einem eine Gelassenheit geben kann. Es gibt auch viele Menschen, die einem mehr Stress zufügen, wenn man mit ihnen redet. Da muss man für sich selbst einen Weg finden, sich zu schützen. Genügend Schutz aufzubauen, das war wichtig, so kam es mir vor.

Das klingt nicht nach einem angstvollen Typ, sondern sehr bewusst und gelassen. Warst Du das immer?
Das hat sich verändert. Irgendwie in der Tiefe wusste ich, es ist ok, egal was kommt. Die Ängste waren auch da, so wachsen wir auf als Tänzer*innen. Man hat immer das Gefühl, man ist nicht gut genug. Man könnte immer noch besser und noch mehr, das ist immer im Kopf programmiert. „Macht man wohl genug“, „jetzt machst ja gar nichts“, „jetzt bist Du nur einfach“, „das darfst Du ja gar nicht“, das sind Stimmen, die jetzt noch zum Teil kommen, wenn ich einen freien Tag habe. Ich muss mir sagen, jetzt ist Zeit zum Ruhen, ich muss nicht noch die Finanzbuchhaltung machen. Da sind wir Tänzer*innen sehr gut darin, im „Schaffen, schaffen, schaffen“. Das kennen wir, aber es ist wichtig, das andere auch zu lernen, das ist eine Schwierigkeit, finde ich.

Alles im Lot, das passt nun zu dir, oder?
Es passt sehr gut und auch das mit dem Lot finde ich spannend. Beim Rolfing ist wichtig, dass der Körper im Lot ist. Sich von oben einen Haken vorstellen zu können und unten das Gewicht und der Boden.
Ballett hat für mich gestimmt in dem Moment und ich bin zu der Zeit darin komplett aufgegangen. Die Übergangszeit empfand ich als schwierig, als ich mich neu definiert habe. In jeder Veränderung ist Angst dabei, aber sie soll einen nicht erdrücken. Ich war als bereits umgeschulte Tänzerin bei einem „Speeddating Workshop“, organisiert von der Umschulungsstiftung beim Ballett Zürich, dabei. Nach dem Workshop habe ich sehr gutes Feedback von allen teilnehmenden Tänzer*innen bekommen. Es war sehr hilfreich für sie, sich darüber auszutauschen. Auch war es schön zu sehen, dass es Spass machen darf, sich Gedanken über die Zukunft zu machen und dass es kein Tabuthema sein muss.