Raquel erzähl ein wenig von Dir: Du hast lange in einer grossen Ballettcompagnie getanzt. Wie war das für Dich?

Ich komme aus Madrid und begann im Alter von 3 Jahren Ballett zu tanzen. Mit 7 Jahren startete ich mit der Ausbildung in der Ballettschule. Mir war schnell klar, dass Tanzen meine Berufung ist. Mit 18 Jahren hatte ich dann mein erstes festes Engagement im Junior Ballett der CND2 Compañia Nacional de Danza bei Nacho Duato. Meine Karriere führte mich in Folge nach Valencia und Italien und mit 26 Jahren dann in die Schweiz ans Theater Basel. Ich wünschte mir, einen Platz zu finden, an dem ich etwas länger bleiben konnte. Ich hatte gleich ein gutes Gefühl und war von Beginn an in die Schweiz verliebt, so viel Natur und diese Berge! Und in einer Compagnie zu tanzen, die 4 Ballettpremieren pro Jahr mit verschiedenen Choreographen macht, das ist der Traum eines jeden Tänzers. Schlussendlich blieb ich 12 Jahre in der Compagnie des Theater Basel.

Wann wusstest Du, dass der richtige Zeitpunkt für Deine berufliche Transition gekommen ist? Wie geht es Dir gerade?

Seitdem ich mich in Transition befinde, vermisse ich den Geruch des Theaters. Der Bühnengeruch ist etwas Besonderes. Ich liebe auch den kreativen Moment der Entstehung einer Produktion. Die physische Herausforderung des Tanzes fehlt mir aber nicht. Ich mache weiterhin viel Sport wie Schwimmen oder Wandern. Die Ballettwelt fühlte sich am Ende meiner Karriere etwas oberflächlich an. Ich liebte die Momente auf der Bühne, ich fühlte mich frei und konnte alles sein, was ich wollte. Ich fühlte mich grenzenlos. Jedoch mir fehlte plötzlich diese tiefe innere Verbindung, die ich zuvor hatte. Die tägliche Herausforderung, perfekt zu sein, gefiel mir zudem nicht mehr. Das zeigte mir, dass es für mich Zeit war einen neuen Weg einzuschlagen.

Wie bist Du an Deine berufliche Transition herangegangen?

Mit 30 Jahren befand ich mich in einer tiefen persönlichen Krise. Ich stellte mir die Frage, was mich täglich motiviert, ins Theater zu kommen und mich an die Ballettstange zu stellen. Mir gefiel die Art und Weise nicht, wie ich mich zu dem Zeitpunkt selbst hinterfragte. Plötzlich erfüllte mich der Tanz nicht mehr. Also suchte ich nach einer neuen Erfüllung.

War Dein weiterer Karriereweg von Anfang an klar für Dich und wie gestaltet sich Deine berufliche Transition momentan?

Ich konnte mir vorstellen, in Richtung Sport zu gehen, jedoch Nähen machte etwas Besonderes mit mir. Tanz ist sehr extrovertiert, ich verlor mich selbst ein wenig darin. Beim Nähen kam ich langsam wieder zu mir. Mit der Zeit konnte ich mir vorstellen, dass Nähen vielleicht eine neue Berufung für mich sein könnte. Also verfolgte ich diese Idee. Mir war mir nicht klar, dass es in meinem Alter noch eine Ausbildung zur Schneiderin geben könnte. Um einen normalen Tag im Atelier zu erleben, machte ich während 2 Jahren ein Praktikum in der Kostümabteilung im Theater Basel. Diese Ruhe und die gesamte Atmosphäre gefielen mir sofort, besonders die hellen Räume mit grossen Fenstern. Von dem Moment an war mein weiterer Weg klar. Jedoch eine passende Schule für die Ausbildung zu finden, war eine Herausforderung. Die Schulen sind sehr teuer in Zürich oder Lugano. Über einen Post in Social Media ergab sich die Chance, eine 3-jährige Ausbildung in einer Schule in der Nähe von Basel zu machen. Für die Ausbildung in Deutsch gab es eine Aufnahmeprüfung und Probezeit. Die Herausforderung war und ist die Finanzierung. Im ersten Jahr der Schule verstand ich auch kein Wort Deutsch, sondern ich lernte über die Aufgaben, die uns gestellt wurden und über meine soziale Umgebung.

Wie konnte Dich die SSUDK bei deiner beruflichen Transition unterstützen?

Ich kannte Oliver Dähler bereits von einem früheren Transition-Workshop am Theater Basel. Der Austausch mit Tänzerinnen und Tänzern, die sich bereits in einer Transition befanden, war grossartig. In der gesamten Zeit der Entscheidungsfindung und der Suche einer passenden Schule half mir Oliver Dähler sehr. Auch finanziell konnte ich auf die Unterstützung der SSUDK zählen. Das RAV konnte mich nicht finanziell unterstützen, da ich 100% in der Ausbildung war. Ich zog also nach Rheinfelden in eine WG, um meine Lebenserhaltungskosten zu reduzieren und suchte zusätzliche Jobs am Wochenende und an meinen freien Abenden. Ich begann in der Reinigung in Hotels zu arbeiten und am Abend im Theater Basel in der Kostümabteilung auszuhelfen. Mit der Konsequenz, dass ich keinen einzigen Tag frei hatte. Das führte in ein Burnout. Ich war froh, in dieser herausfordernden Zeit auf die Unterstützung von der SSUDK zählen zu können. Das war enorm wichtig. Zusätzlich konnten die Kosten für die Krankenkasse noch von einer anderen Stelle übernommen werden. Aus einem zu der Zeit eigens für diesen Zweck neu gegründeten Transition-Fonds am Theater Basel bekam ich als Erste auch eine Unterstützung für meine Transition. Diese Unterstützung gibt es nur für langjährig am Theater Basel tätige Künstlerinnen und Künstler, die für ihre Transition eine zusätzliche Ausbildung machen müssen. Nun kann ich es kaum glauben, dass nur noch 5 Monate bis zum Abschluss sind.

Wie lange hat der Prozess der Entscheidungsfindung für Dich gebraucht?

Der gesamte Prozess dauerte ca. 5 Jahre. Es war keine einfache Zeit.

Was sind Deine Ziele momentan bzw. Deine Vision?

Ich möchte nach Abschluss der Ausbildung sehr gerne in der Kostümabteilung im Theater Basel arbeiten. Ich kann mir auch vorstellen, nach Zürich oder St. Gallen ans Theater zu gehen und in der Kostümabteilung zu arbeiten. Und ein Pensum von 60% wäre perfekt, dann kann ich mich auch nebenher anderen Projekten widmen, für die bisher keine Zeit war. Das gibt mir zusätzlich Inspiration. Es wäre auch schön, nach dieser langen und intensiven Zeit der Transition ein wenig Zeit für mich zu haben. Ich möchte auch gerne in einem Projekt helfen, das Flüchtlinge dabei unterstützt, in einem neuen Job Fuss zu fassen.

Was möchtest Du, Künstlerinnen und Künstlern, die noch mitten in Ihrer Karriere sind, von Deinen Erfahrungen mitgeben?

Man hat keine Ahnung von einer Transition, bis man selbst mitten drinsteckt. Es ist ein angsteinflössender Zustand. Ich fühlte mich damals wie nochmals neu geboren. Ich habe mich gleichzeitig schlecht gefühlt, den Tanz meine frühere Berufung im Stich zu lassen. So hat es sich zumindest für mich angefühlt. Gleichzeitig ist es ein langer Prozess, sich nochmals komplett neu zu definieren und zu entdecken. Am Anfang habe ich neue Dinge einfach ausprobiert, zum Beispiel Pilates, Yoga oder Wandern. Aber ich wollte einen neuen Weg für mich finden, der nicht physisch war. Es dauerte eine Weile herauszufinden, wobei ich mich richtig gut fühlte und wann ich die Zeit einfach vergass. Ich wollte keinen Druck spüren, sondern mir genügend Zeit geben für diesen Prozess.

Wie sieht nun Dein Alltag aus? Worauf freust Du Dich am meisten zurzeit und in der Zukunft?

Ich liebe Nähen, besonders das Handwerk. Mir gefällt auch die Lebensqualität in der Schweiz, der zwischenmenschliche Respekt, die Work Life Balance und das gesunde Leben. Das kannte ich so nicht in Spanien. Ich bin gerne in der Natur, ich freue mich auf meinen neuen Auftrag und auf alles, was kommt. Ich habe in den letzten Jahren nur gearbeitet und freue mich darauf, neue Beziehungen aufzubauen. Das hat jetzt auch Priorität für mich.

Was sollten Deine Kolleg*innen bedenken bzw. beachten, die noch vor einer beruflichen Transition stehen?

Be curious! «Hab keine Angst, auch bereits während Deiner aktiven Tanzkarriere Deine Freizeit dafür zu nutzen, Neues auszuprobieren. Man ist nicht nur Tänzer*in. Gib Dir selbst den Raum und die Zeit, Neues zu entdecken. Das macht Dich nicht zu einem schlechten Tänzer. Du musst auch noch nicht ans Aufhören denken. » Neues auszuprobieren heisst nicht, den Tanz nicht mehr zu lieben. Es ist wichtig, sich Inspiration von aussen zu holen und ohne den Druck einer Transition bereits herauszufinden, was einem noch gefällt und welche Talente noch in einem stecken. «Lasst Euch von neuen Dingen überraschen und fühlt ohne Druck in Euch hinein. Die Entdeckung und die Überraschung des Neuen sind schon ein unglaublich spannender Prozess. Es muss Dich auch nicht alles sofort erfüllen. Sei einfach neugierig und mutig, Neues auszuprobieren und denke nicht zu viel. Es wird sich zeigen, sobald sich etwas richtig anfühlt. Leidenschaft kommt mit der Zeit. Folge Deiner inneren Stimme, die manchmal sehr leise sein kann. Also lass Dir Zeit für den Prozess, gehe Deinen Weg Schritt bei Schritt und vertraue dem Weg. »