Laura, herzlichen Glückwunsch zum Film Becoming Giulia. Wie fühlst Du dich momentan?

Sehr gut, ich freue mich sehr darüber, dass der Film so ein Publikumserfolg ist. Ich denke, das ist die grösste Belohnung. Wir hatten eine grossartige Premiere gerade und weitere folgen in verschiedenen Städten. Es ist herzerwärmend zu sehen, wie der Film das Publikum bewegt, welche Fragen sie haben und welche Dinge sie im Film sehen. Das ist sehr schön. Ich wollte nicht nur einen Film über die Tanzwelt machen. Die Themen des Films sprechen gesellschaftliche Themen an.

Giulia und ich sind sehr glücklich über das Feedback von Frauen und Männern zum Film und was der Film in Ihnen bewegt. Diese Erkenntnis war sehr kraftvoll, dass diese Themen so viele von uns ansprechen. Mir wird nochmals bewusst, was für eine Herausforderung es war, die Dreharbeiten über 3 Jahre im Opernhaus Zürich durchzuführen.

Vielen Dank an dich für diese tolle Arbeit. Die Thematik von Künstlerinnen, insbesondere Tänzerinnen und Mutterschaft in einem Film zu zeigen und was es für eine Tänzerin bedeutet Mutter zu werden, und für die ihr gesamtes Umfeld ist sehr mutig und wichtig. Es gab Zeiten, da war es unmöglich als Balletttänzerin Mutter zu werden. Es zählt zu den grössten Herausforderungen im Leben einer Frau, die inmitten einer Künstlerkarriere steht, sich für eine Mutterschaft, was sicherlich zu einem der bereicherndsten Ereignisse im Leben einer Frau zählt, zu entscheiden, und die Bühnenkarriere erfolgreich weiterzumachen.

Auch zu dem Zeitpunkt als ich noch tanzte, stand es ausser Frage, Tänzerin und Mutter zu sein. Ich erinnere mich daran, schon allein die Spekulationen darüber, dass eine Tänzerin schwanger werden würde und sich somit eine Position in der Company öffnen könnte, solche Gedanken waren normal, da klar war, dass wenn eine Tänzerin Mutter wird, dass sie nicht mehr zurück kommt. Beides zu machen, war zum damaligen Zeitpunkt in der Gesellschaft (im kollektiven Gedächtnis) nicht denkbar. Zudem hatten all meine Freunde Probleme schwanger zu werden. Ich habe mir Gedanken gemacht, ob dies mit der starken körperlichen Beanspruchung zu tun hat. Ich wollte mit dem Film auch zeigen, dass dieser Beruf sehr fordernd ist und Frauen besser behandelt werden sollten besonders wenn sie eine Familie haben. Die Menge an Missbrauch, den man als junge Frau oder als Teenager erfährt ist enorm in der Tanzwelt.

Glaubst Du, dass dies nach wie vor deswegen ist, weil Frauen gewohnt sind zurückzustecken und sich selbst den Platz, den sie für eine Mutterschaft und eine parallele Karriere brauchen, nicht nehmen?

Giulia kam 3 Monate nach der Geburt ins Training zurück. Damals begannen auch meine Dreharbeiten im Opernhaus. Ich denke es liegt an unserer Gesellschaft. Das Problem liegt nicht daran, dass Frauen sich nicht empowern, sondern daran, wie wir sozialisiert wurden und wie die Work/Life Balance organisiert ist. Besonders in grossen Städten, die sehr kompetitiv sind, hat man keine Wahl. Freunde, die rund um die dreissig Eltern wurden, hatten ein Familienregiment um sich herum, die 24/7 als Unterstützung da waren. Die meisten von uns haben keine solche Community um sich herum. Wir leben in grossen Städten, weg von unserer Familie und die Gesellschaft ist noch nicht bereit eine Frauenkarriere in dem Masse zu unterstützen, dass sie Mutter und berufstätig sein kann, schon allein wegen der Kita-Öffnungszeiten und der fehlenden Flexibilität in den Arbeitszeiten. Giulia sagte, sie hat manchmal den Probenplan mit einem grossen Loch in der Mitte des Tages. Die restlichen Proben sind am Abend, was nicht zu den Kitaöffnungszeiten passt. Mit den derzeitigen Strukturen und dem kollektiven Denken ist es noch nicht möglich, dass man den Probenplan anpasst für Tänzerinnen mit Familie. In der Wiener Ballettcompagnie gibt es zwei Jahre Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, das ist grossartig und meiner Meinung nach ein Schritt vorwärts. Man muss keine Angst haben, den Job zu verlieren. In Zürich sind die Verträge nach wie vor jährlich, Saison bei Saison. Die Frage eine Familie zu gründen ist also mit grosser Angst verbunden, denn wenn Du im Jahr nach der Mutterschaft nicht deine Leistung zeigst, bist Du weg. Der Vaterschaftsurlaub ist sicherlich auch ein wichtiges Thema. Es ist ein Skandal, dass dieser noch nicht akzeptiert wurde. Wenn ein Mann Vater wird, wird man zelebriert und befördert. Man geht davon aus, dass die Mutter zu Hause auf das Kind aufpasst. Das Argument, dass Kinder ihre Mutter am Anfang mehr brauchen als den Vater, stimmt sicherlich zu einem grossen Prozentsatz. Aber um es gleichberechtigt zu machen, ist es notwendig, dass der Mann auch zu gleichen Teilen seine Verantwortung übernimmt und 50/50% also gleichermassen unterstützt.

In Österreich hat das mit dem gesamten System zu tun, da dies sich in Bezug auf den Mutterschaftsurlaub sehr vom Schweizer System unterscheidet. Auch ausserhalb der Tanzwelt ist es eine Herausforderung in einer kreativen Umgebung, besonders im Theater Mutter zu werden. Die Unterstützung vom Management ist meist nicht da und der Fokus ist zu sehr auf den Zahlen, weniger beim Menschen. War das zu zeigen deine ursprüngliche Inspiration für den Film oder was war es?

Ich ging durch den selben Prozess und habe mich zur gleichen Zeit wie Giulia hinterfragt, die mir von ihren Ängste berichtet hat, zur Arbeit als Mutter zurückzukehren. Auch in meinem Umfeld gibt es viele, die nach einer Mutterschaft erst nach 6 bis 7 Jahren wieder in ihren Beruf zurückkehren und den nächsten Film machen. Deswegen war ich in einer Art und Weise verängstigt eine Familie an einem frühen Zeitpunkt in meiner Karriere zu gründen. Denn das hätte bedeutet, ich habe lange studiert, habe eine Transition von meiner Tanzkarriere hinter mir, weswegen ich in meiner Filmkarriere schon später angefangen habe und wenn ich nun ein Kind bekomme, dann würde ich mit 45 Jahren komplett unzufrieden sein mit meinem Leben. Nicht weil ich eine Familie habe, sondern weil ich meine beruflichen Ambitionen nicht weiter verfolgen konnte und meinem persönlichen Anspruch nicht gerecht wurde. Ich möchte klar stellen, dass das Wort Ambition in verschiedenen Sprachen eine positive oder negative Bedeutung hat. Ich finde es positiv, Ambitionen zu haben und Giulia hatte dieselbe Ambition als ich im selben Alter. Darüber wollte ich einen Film machen. Giulia hat gelitten obwohl sie ein Kind hatte und wieder zurück auf die Bühne gehen würde. Unsere Fragen und Ängste waren dieselben. Mein Gedanke war, wenn sie und ich diese verschiedenen Erfahrungen mit dem Thema Mutterschaft haben und wir uns dennoch gleich fühlen diesbezüglich, werden sich viele andere Frauen auch ähnlich fühlen. Es war diese Allgemeingültigkeit der Problematik, die mich und Giulia verband damals.
Es macht mich traurig, dass es bei mir nicht geklappt hat Mutter zu werden. Ich hatte immer die Vorstellung, dass es sehr natürlich passieren würde. In dieser Hinsicht war ich etwas naiv. Wenn man sich dafür entscheidet Mutter zu werden und man versucht schwanger zu werden, dann will man auch, dass es klappt. Wenn es nicht natürlich klappt und weitere Schritte notwendig sind, dann wird es emotional und physisch hart, da man einen fordernden Job weiterhin macht in Verbindung mit Hormonspritzen. Das ist unmöglich zu bewältigen. Dann gibt es viele männliche Ärzte und Spezialisten, die behaupten, dass eine solche Hormontherapie das tägliche Leben nicht beeinflusst. Für mich war das eines der härtesten Dinge, die ich bis jetzt machen musste. Ich kam an einen Punkt, an dem ich die Reisslinie gezogen habe. Ich wollte meinen Film zu Ende bringen und ich war glücklich bereits einen Verlust von zwei Schwangerschaften verschmerzt zu haben. Das hatte schon sehr viel Kraft gebraucht. Ich konnte nicht mehr. Das war wahnsinnig.

Das war dieser Druck. Ich wusste nicht, ob ich all das gemacht habe, weil ich es unbedingt wollte, oder ob es der Druck war eine Familie und eine Karriere parallel zu managen. Die Art und Weise wie ich jetzt lebe, in der schnellen Geschwindigkeit mit dem Erfolg des Films, den ich sehr geniesse, da stelle ich mir oft die Frage, ob es ebenso wäre, wenn ich eine Familie hätte. Es wäre sicherlich ein grosser Unterschied.

Gehen wir zurück zum Anfang deiner Karriere. Du hast als Balletttänzerin gestartet und bis jetzt eine sehr erfolgreiche Karriere hinter dir, gefüllt mit vielen Erfolgen in Projektübergreifenden Bereichen. Dein Ursprung ist im Tessin, was würdest Du sagen hat dich von dort am Meisten beeinflusst in deiner Karriere, war es die Familie, die Natur?

Ich gehe immer gerne zurück in die üppige Natur des Tessins. Vielleicht ist Hawaii dem ähnlich, im Tessin findet man noch weite Teile von unberührter Natur. Natürlich gibt es kleine Städte, aber sobald man in die Täler kommt, sind diese unverändert so wie sie vor zwanzig oder dreissig Jahren waren. Ich brauche das Gefühl von Freiheit. Diese Freiheit nährt meine Kunst und mit den Tälern im Tessin habe ich mich immer sehr verbunden gefühlt. Mein Urgrossvater war Teil der Künstlergemeinschaft Monte Verita. Diese Arbeit und besonders die Arbeit meines Urgrossvaters hat mich nahezu dazu eingeladen noch tiefer in die Kunst einzutauchen und die künstlerische Familienader zu entdecken. Ich spüre ein grosses Erbe, dass mich irgendwie vorwärts treibt. Man sagt, der Monte Verita hat eine spezielle Anziehung, Meine Mutter war dort immer mit mir, als ich noch ein Kind war. Das bestärkt mein Gefühl, dass irgendeine Energie von dort mich immer noch durchströmt. Meine Mutter immigrierte mit ihrer Mutter aus Sarajevo als ich vier Jahre alt war. Meine Grossmutter mütterlicherseits hat ihr Leben sozusagen für meine Mutter geopfert. Sie wollte, dass meine Mutter die Möglichkeit einer guten Ausbildung hat. Wegen meiner Vorfahren und ihren Anstrengungen fühle ich das grosse Verlangen erfolgreich zu sein. Sie haben sich wirklich sehr für die Familie eingesetzt.

Du hast sehr früh, im Alter von 14 Jahren, deine Heimat das Tessin verlassen,. War es immer klar für Dich, dass Du Tänzerin werden wolltest? Oder gab es noch andere Inspirationen dafür in eine grössere Stadt zu gehen?

Ich habe mich schon früh in die Kunstform des Tanzes verliebt und ich hatte auch das Talent dafür. Ich denke aber auch, dass es damit zu tun hatte, dass dass Tessin zu dem Zeitpunkt sehr konservativ und sehr eng war. Ich hatte immer das Gefühl etwas Grösseres zu brauchen. Schon ab dem Alter von 7 Jahren Jahren habe ich mehrere Sommercamps besucht um verschiedene Schulen und Lehrstile kennenzulernen. Ich habe mich in das, was ich dort zu sehen bekam und die Möglichkeiten wer ich werden könnte in dieser vielfältigeren, inklusiven und künstlerischen Umgebung verliebt. Im Tessin war es sehr konservativ und katholisch. Wir gingen zur Kirche und es fühlte sich nicht ganz richtig für mich an. Glücklicherweise hatte ich Eltern, die mich darin unterstützt haben meine damalige Welt zu öffnen. Ohne diese Möglichkeit wäre ich sehr unglücklich geworden. Ich konnte es kaum erwarten mit 18 Jahren nach Zürich zu gehen. Sogar dann war Zürich noch sehr konservativ und nicht so wie heute.

Wie konntest Du Dir das ermöglichen? Hattest Du ein Stipendium um deine Ausbildung zu finanzieren?

Ja, sehr viele, vom Tessin und andere.

War dann der Weg für Dich klar, weg vom Tanz hin zur Filmkarriere? Wie hat sich dieser Übergang für Dich gestaltet und was waren deine Herausforderungen?

Aufgewachsen zwischen zwei Filmfestivalstädten Locarno und Cannes, war ich immer schon ein Filmfan und konnte grossartige Filme sehen. Nicht unbedingt die Blockbuster, jedoch Filme von grossartigen Filmregisseuren und gute Diskussionen über Film und Filmkritiken. Ich habe alle Musicals der 50iger Jahre aus Hollywood gesehen und in der Schule in Cannes liebten wir es Filme anzusehen. Deswegen entwickelte sich meine Tanzausbildung quasi parallel zu meiner Filmausbildung.  Mit ca. 27 Jahren kam ich an einen Punkt in meiner Tanzkarriere, an dem ich aufhörte auf Spitzenschuhen zu tanzen. Mein Tanzstil wurde zeitgenössischer und ich arbeitete projektbezogen. Mein letzter Direktor war Jan Fabre. Ich mochte seinen Schaffensprozess und die Art und Weise wie er Frauen behandelte nicht. An dem Zeitpunkt war für mich klar, dass ich mehr und es besser machen wollte im Sinne des Storytellings. Ich kannte die Tanz- und Theaterwelt seit fast 20 Jahren sehr gut und wollte eine Weiterentwicklung, eine Veränderung meiner Kunstform. Ich hatte bereits als Schauspielerin gearbeitet und konnte ich mir gut vorstellen, dass es mir hinter der Kamera gut gefallen würde. Es war sehr klar, dass Filmregie der richtige Weg für mich sein würde. Ich war mir auch bewusst, dass das ein langer Prozess werden würde, da der Film eine andere Sprache braucht. Ich bin nach wie vor sehr froh, dass ich diesen Weg gegangen bin. Ich erinnere mich an meinen ersten Kurzfilm. Da machte alles plötzlich Sinn. Ich bin nicht sicher, ob es Sinn gemacht hätte als ich zwanzig Jahre alt war. Erst mit dreissig und all den Erfahrungen, die ich bis dahin gesammelt hatte, machte alles Sinn. Ich konnte vieles, was ich vom Tanz gelernt hatte  einbinden, da der Tanz eine non-verbale Kunstform ist, die sehr viel erzählt. Viele Filme sind in ihren Bildern auch non-verbal.

Eine Transition ist in vieler Art und Weise herausfordernd, einerseits finanziell, mental. Man muss sich komplett neu orientieren und seine Kenntnisse und Fähigkeiten neu strukturieren. Die SSUDK unterstützt darstellende Künstler:innen in diesem fordernden Prozess, besonders um sie auf Fähigkeiten, die sie bis an hin vielleicht weniger genutzt haben aufmerksam zu machen. Hattest Du jemanden, der dich auf deinem Weg unterstützt hat, deine Familie, einen Coach oder einen Mentor?

Das stimmt, man braucht die richtigen Menschen in seinem Umfeld.  Das sind besser nicht solche, die gerade in derselben Situation sind,. Das wäre weniger hilfreich, da man selbst in so einem Moment nicht komplett klar sehen kann, beziehungsweise pragmatisch denkt. Als ich in einer TV-Serie spielte, habe ich mich mit der Drehbuchautorin angefreundet. Sie war 10 Jahre älter als ich. Ich erinnere mich, dass ich ihr bei einem Kaffee von meiner Idee für einen Kurzfilm erzählte. Ich war auf der Suche nach einem Regisseur. Darauf sagte sie geradeheraus, ich sollte die Regie des Kurzfilms machen und ob ich mir das schon überlegt hätte. Ich erinnere mich, dass ich damals sehr unsicher war. Vielleicht war das noch wegen meinem Tanzhintergrund. Tänzer:innen neigen dazu sehr bescheiden zu sein. Die Meisten haben ein Problem mit ihrem Selbstvertrauen. Das kommt daher, da sie trainiert werden in einer Linie zu stehen und zu schweigen und sie sich nicht trauen Dinge anzusprechen. Ich habe sehr daran gearbeitet selbstbewusster zu werden, denn das war das, was ich brauchte. Wenn ich etwas erreichen wollte, musste ich lernen danach zu fragen, andernfalls würde es nie passieren. Niemand würde nach mir suchen. Als Tänzer:in wird man dazu trainiert der oder die Beste in seinem Gebiet zu sein und dann wird man ausgewählt für eine Rolle. In einer Transition ist es wichtig zu lernen, dass man selbst derjenige sein muss, der aktiv wird. Niemand wird mich aussuchen. Du selbst musst der-/diejenige sein, die danach fragt. Du musst dich sozusagen selbst ermächtigen. Das ist sicherlich sehr herausfordernd. Diesen Schalter in meinem Kopf umzulegen war nicht einfach. Aber ich habe erkannt was zu tun war. Ich hatte einen professionellen Coach, der mich sehr in diesem Prozess unterstützt hat. Ich musste auch meine erste Budgetkalkulation für die Neuorientierung machen. In dieser Zeit habe ich als Yogalehrerin gearbeitet und dadurch einen Teil meines Studiums finanziert. Zudem habe ich nach Stiftungen gesucht, die mich in der Finanzierung meines Projekt unterstützen könnten. Die Ausbildung bot einen gewissen sicheren Rahmen, da ein gewisser Druck herrschte. Ausbildungsstätten können im Umschulungsprozess jedoch auch sehr entmutigend sein. Es herrscht dieser Druck und es bleibt keine Zeit zu reflektieren, da man in diesem System eingebunden ist. 2015 habe ich die Ausbildung beendet und ich war in einer neuen Umgebung mit vielen neuen Akteuren, die ich nicht kannte. Damals trat ich einer Gruppe von Frauen bei, die einen Verein für Gleichberechtigung gegründet haben, Swan. Das bot mir ein Netzwerk, um  mit meiner Arbeit sichtbar zu werden. Wie Du siehst es waren einige Schritte notwendig um hierher zu kommen. Auch nun inmitten meiner Filmkarriere ist es auch kein Selbstläufer. Ich bewege mich nach wie vor in einer sehr kompetitiven neuen Umgebung. Mir persönlich half sehr, dass ich mich berufen fühlte, mich für den Kampf um Gleichstellung und Diversität einzusetzen. Dabei traf ich auf die richtigen Menschen für mich und die richtigen Produzenten und bekam sozusagen einen Fuss in die Tür. Ohne meinen Coach und die psychologische Unterstützung wäre meine Transition nicht so gut verlaufen. Für mich war es wichtig mich meiner Angst  zu stellen und für das loszugehen, was ich wollte in meinem Leben.

Wie hast du deinen Coach gefunden, der genau zu dir gepasst hat? Was ist deine Empfehlung für andere Künstler:innen, wie sie den richtigen Coach finden können?

Ich fand meinen Coach zur gleichen Zeit, als das Buch „The Power of Now“ rauskam, das war am Anfang der positiven Psychologie Bewegung. Als Yogalehrerin war ich bereits in einem Umfeld, die sich aktiv mit positiver Psychologie auseinandersetzte. Um auf deine Frage einzugehen, wie man Menschen für sein Team findet, die einen gut begleiten. Du musst sie kennenlernen um herauszufinden, ob ihr zueinander passt. Das mache ich nach wie vor. Wenn ich einen Spezialisten auf einem Gebiet konsultiere, ob es ein Akupunkteur, ein Coach oder ähnliches ist, dann frage ich nach einer 30minütigen Probesitzung. Ich möchte herauszufinden, ob die Chemie stimmt und wir zueinander passen. Ich möchte nicht gleich 10 Sitzungen buchen ohne zu wissen, ob diese Person mich auf meinem persönlichen Weg unterstützen kann. Ich empfehle dazu eine Recherche zu machen und mehrere Personen kennenzulernen, um die richtige Person zu finden. In der Schweiz kann man dafür finanzielle Unterstützung von der Krankenkasse beantragen. Es hilft enorm ein Team um sich zu wissen, dass einen auf dem Weg unterstützt. Mein Coach wurde mir von einer Freundin empfohlen. Ich liebte es mit meinem Coach zu arbeiten. Es ist definitiv heutzutage für eine Tänzerin einfacher einen Coach zu finden. Fast jeder hat irgendeine Art von Coach, ob ganzheitlich, oder psychologisch. Es gibt immer mehr gut ausgebildete Leute auf diesem Gebiet, das ist eine grossartige Entwicklung. Ich bin auch der Meinung, dass Tänzer:innen aus ihrer Teenagerzeit, der jungen Erwachsenenzeit in ihrer Familie aufgrund dieser kurzen Karriere gerissen werden, da man schon im Teenageralter erwachsen sein muss. Das hat zur Konsequenz, dass viele der natürlichen Phasen eines Teenagers einfach übersprungen werden. Deswegen lohnt es sich in der Transition auch einen Blick zurück zu werfen, da dies der erste Moment ist an dem es möglich ist zu reflektieren und innezuhalten um herauszufinden wer man wirklich ist.

Zur Zeit stellen wir unseren Film „Becoming Giulia“ schweizweit vor und Giulia hat kaum einen Tag pro Woche frei. Gestern hatten wir eine Filmpremiere mit anschliessender Live-Diskussion und Q&A auf der Bühne im Opernhaus und sie kam gerade erst aus einer „Anna Karenina“ Vorstellung. Obwohl ich den Film 3 Jahre im Opernhaus drehte und ich selbst als Tänerzin auf der Bühne stand hatte ich vergessen, wie anspruchsvoll der Beruf einer Tänzerin ist. Natürlich bleibt da keine Zeit zur Selbstreflexion.. Das letzte Mal, als vielleicht Zeit dafür war, war man vielleicht 12 Jahre alt.

Was meiner Meinung nach den angehenden Tänzer:innen sehr helfen würde, wäre sich bereits in der Tanzausbildung mit der Tatsache einer Transition parallel auseinanderzusetzen und die nötigen Tools für einen solchen Prozess mitzubekommen. Als Teenage-Tänzerin verlor ich keinen Gedanken an ein mögliches Ende meiner Tanzkarriere, da sich ein Alter von 40 für mich so weit entfernt anfühlte. In der letzten Berlinale sah ich einen Film über eine Elite-Skischule in Österreich, die in einer Ausbildung ähnlich einer Tanzausbildung waren. Sie hatten Unterricht in Themen wie, was passiert, wenn sie sich verletzen, was passiert am Ende einer Karriere, was könnten sie nach einer Karriere machen etc.. Das fühlte sich so ermutigend an. Ich wünsche mir, dass es eine Tanzausbildung gibt, die diese Art von Lehrplan hat. Ein Lehrplan, der  auf den brutalen Moment des Karriereendes vorbereitet und eine Ausbildung, die die Verantwortung ernst nimmt, die Schüler:innen auch auf das mögliche Karriereende vorzubereiten. Ich hatte das Gefühl, dass die Männer immer einen Folgejob im Theater entweder als choreografischer Assistent oder als Choreograf oder Lehrer fanden. Die Männer bekamen eine spezielle Behandlung. Tänzerinnen würden einfach Mutter werden und komplett aufhören zu arbeiten. So war es bis jetzt jedenfalls. Es bleibt auch jetzt immer noch eine Herausforderung eine erfolgreiche Tanzkarriere fortzuführen und Mutter zu sein. Jede Ausbildungsstätte sollte sich über den Moment der Transition Gedanken machen, wie die SSUDK es macht. Ich kenne derzeit einige Tänzer:innen im Opernhaus Zürich, die ihre Karriere beendet haben. Eine Transition ist und bleibt eine grosse Herausforderung.

Das man sich mit dem Karriereende nicht befassen wollte, hatte sicherlich auch mit der Angst zu tun, dass man nicht erfolgreich ist, wenn man bereits einen Plan B hat und nicht zu 100% auf die Karriere fokussiert. Es geht nicht darum einen Plan B zu haben, falls die Karriere nicht klappt, sondern sich bereits sehr früh über seine Fähigkeiten und Möglichkeiten ausserhalb der Tanzkarriere bewusst zu werden, bevor die Angst eintritt, keinen  erfüllenden Job mehr zu haben. Jeder Mensch hat meist mehr als nur ein Talent. Dies in jungen Jahren parallel zu trainieren bringt eine enorme Sicherheit und vielleicht auch eine grössere Stabilität für eine erfolgreiche Karriere.

In den letzten 3 Jahren während den Dreharbeiten war ich unter vielen erwachsenen Tänzer:innen und sobald sie 31 oder 32 wurden hinterfragten sie sich. Diese Fragen, wie es denn am Karriereende weitergehen könnte, bringen eine riesen Angst mit sich. Was mich wirklich erstaunt hat ist, dass die meisten sich nicht früher Gedanken machen wollen und sie noch keine Idee haben, wie es für sie weitergehen könnte. Viele von Ihnen begleitet eine lähmende Angst darüber nachzudenken. Das ist für mich wirklich ein grosses Manko in der Tanzausbildung, da es ein Fakt ist, dass die Karriere nicht ein ganzes Leben dauert und man sich dem stellen muss, je früher, desto besser. Wenn man sich solche Fragen bereits als Teenager stellt, dann kann man vielleicht sogar seine Karriere mehr geniessen, da man bereits weiss, wie es weitergeht. Derzeit ist es so, die Tänzer:innen mit denen ich gesprochen habe, hatten keine Ahnung wie es weitergehen würde und sie sind dementsprechend verängstigt. Sie haben teilweise seltsame Erwartungen an das, was sie tun könnten. Sie haben ein wenig die Verbindung zur Welt verloren. Ich bin der Meinung, dass dies die Verantwortung der Schulen und der Tanzcompagnien ist.

Es bricht mir einfach das Herz, wenn ich diese jungen Tänzer: innen sehe, da ich weiss, dass ihre Ausbildungen nicht auf dem Stand der heutigen aktuellen Themen ist, besonders was ihr eigenes Leben betrifft. Wenn wir auf eine Art und Weise einen kleinen Beitrag zu einer positiven Veränderung leisten können, dann wäre das grossartig. Ich denke, der Film leistet bereits einen Beitrag dazu.

Wenn Du Tänzer:innen drei Ratschläge geben könntest, an den verschiedenen Punkten ihrer Karriere, welche wären diese? Einen Ratschlag für Tänzer:innen während ihrer Ausbildung, einen in der Mitte ihrer Karriere und einen Ratschlag kurz vor ihrem Karriereende.

Den Teenagern während ihrer Ausbildungszeit rate ich sich so gut wie möglich über alle Choreografen in der Tanzwelt zu informieren. Lest so viel wie möglich, insbesondere Tanzmagazine. Informiert euch über die Arbeit und die Arbeitsweise der Choreografen, damit ihr herausfindet, mit wem ihr eine künstlerische Verbindung habt. Du kannst ohne diese Vorarbeit und Recherche nicht erwarten, dass jemand kommt um nach dir zu suchen. Du kannst jeden Choreografen für dich genauso aussuchen, wie sie es umgekehrt können. Es geht in deiner Ausbildung nicht nur um die physische, die mentale und die künstlerische Arbeit, sondern es ist immens wichtig, dass du für dich herausfindest und recherchierst, wer Du als Künstler:in sein willst, mit wem Du arbeiten möchtest und wer dich auf deinem Weg unterstützen kann. Diese Art von Recherche, was auch bedeutet die Vorstellungen eventuell mit deinen Eltern anzusehen und dich zu informieren mit wem du dich weiterentwickeln möchtest, ist von entscheidender Bedeutung. Wenn du das nicht machst wirst du sehr viel Zeit verlieren, während du mit Leuten arbeitest, die dir vielleicht nicht die passende Rolle geben. Es kann sein, dass sie dir nicht die passende Rolle geben, da ihr nicht zusammenpasst.

Für Tänzer:innen mitten in ihrer Karriere um die zwanzig, die vielleicht das Gefühl bekommen haben, sie werden nicht gesehen und dass sie nicht am richtigen Platz sind und sie nicht glücklich mit dem bisher erreichten sind ist es enorm wichtig, dass sie auch Zeit in die Recherche investieren, um herauszufinden mit wem sie arbeiten möchten. Glücklicherweise gibt es zahlreiche online Videos, das Internet und es ist wichtig in der Recherche fleissig zu sein, um alle wichtigen Choreografen und ihre Tanzsprache zu kennen Dann ist es wichtig sie von dir zu überzeugen und deinem Committment zu überzeugen und Möglichkeit der Zusammenarbeit zu prüfen. Das erfordert ein gewisses Durchhaltevermögen. Es macht keinen Sinn nach dem ersten Nein aufzugeben, denn das erste Nein bedeutet Nichts. Wie mit allem im Leben, musst man zeigen, was es einem bedeutet und wofür man sich engagiert. Niemand nimmt einen nur wegen der guten Qualifikationen. Jeder von uns hat seine Qualitäten und ist grossartig, aber wenn man sich wirklich darauf fokussierst sein künstlerisches Schaffen voranzubringen und Menschen trifft, bei denen die Verbindung stimmt, dann muss man dran bleiben. Es ist wichtig die Angst vor Zurückweisung zu verlieren, denn was ist überhaupt Zurückweisung? Vielleicht hat man jemanden an einem schlechten Tag getroffen. Wenn man etwas will muss man es vorantreiben. Giulia in meinem Film ist sehr gut darin. Ich erinnere mich, dass ich zu ihr sagte, diesen Monat nehmen wir es ein wenig leichter. Giulia antwortete darauf, wenn ich aufhöre mich zu pushen und dranzubleiben, dann kann ich gleich mit dem Tanzen aufhören. Und wenn ich ehrlich bin, mache ich dasselbe. Ich bleibe immer dran um voranzukommen, ansonsten könnte ich genauso gut aufhören zu arbeiten.

Wie findest Du für dich heraus ob ein „Nein“ in absolutes „Nein“ ist und dir einen neuen Weg aufzeigen will oder du dran bleiben sollst, da es nicht das letzte „Nein“ war? Dafür muss man sehr selbstreflektiert sein um das für sich herauszufinden. Wie machst Du das?

Das ist ein schwieriges Thema, das es sehr persönlich ist. Ich kenne beide Situationen. Manchmal ist ein klares „Nein“ zum Besten von Allen und es sollte nicht sein. Und es gibt Situationen, wo ich genau weiss, dass das kein unumstössliches „Nein“ war, sondern sich ändern wird mit der Zeit. Da lohnt es sich natürlich dranzubleiben. Dafür braucht es sehr viel Selbstvertrauen, dass man sich vom ersten „Nein“ nicht einschüchtern lässt und das Selbstvertrauen bröckelt. Ich würde jemandem in der Mitte seiner Karriere ebenso einen Coach empfehlen. Es lohnt sich einen Coach bereits in frühen Jahren zu suchen. In der Schweiz wird ein Coach übrigens sogar von der Krankenkasse bezahlt und man hat eine Unterstützung, die sehr hilfreich und zielführend in dieser herausfordernden Karriere ist. Viele die es ablehnen sich Unterstützung zu holen, wissen meist gar nicht was es bedeutet und was dieses Coaching bringt.

Für jemanden gegen Ende einer sehr erfolgreichen Karriere, was würdest Du der-/demjenigen raten, wenn sie oder er es versäumt hat sich in irgendeiner Art und Weise auf eine anstehende Transition vorzubereiten.

Erwarte nicht, dass die Transition einfach sein wird. Der Abschied von der Bühnenkarriere, besonders wenn sie sehr erfolgreich war, ist schon schwer genug. Das ist ein grosser Schritt. Doch es ist auch wahrscheinlich der erste Moment nach einer über 30jährigen Karriere, an dem Zeit bleibt zur Reflexion. Wir bekommen nicht sehr viele Momente wie diese in unserem Leben. Diese Momente machen Angst und tun weh, aber sie bergen auch ein enormes Potential in sich. Du hast die Chance zu überprüfen wer du bist, was du willst und wer du sein willst. Das braucht Zeit und Du solltest Dir dafür auch Zeit lassen verschiedene Möglichkeiten ausprobieren zu können, bis Du etwas gefunden hast, das dich ebenso berührt wie deine Tanzkarriere es getan hat. Falls Du noch keinen Coach hast, empfehle ich dir auf jeden Fall einen Coach zu konsultieren, denn es ist nicht Aufgabe deines Partners oder deiner Familie, dich in diesem Prozess in der Art und Weise zu unterstützen. Dafür braucht man eine externe, pragmatische Person, die keine persönliche Verbindung zu dir hat, die dir dabei hilft Dinge klar sehen zu können. Du kannst endlich sanft zu deinem Körper sein und aufhören mit diesen Schmerzen zu leben und die Schönheit dieses neuen Lebensabschnitts finden und geniessen. Schlussendlich haben viele Menschen einen Karrierewechsel Mitte dreissig. Es ist nicht mehr so wie vor einigen Jahren, dass man sein ganzes Leben einer Karriere gewidmet hat. In der heutigen Generation geschieht eine Transition Mitte dreissig häufiger und ist nicht mehr nur etwas tanzspezifisches. Sich das vor Augen zu führen, dass wir nicht allein in diesem Prozess sind, sondern eventuell mehrere sich gerade in einer solche Transition befinden gibt Mut. Für mich ist eine Transition ein Moment der Öffnung, des Lernens und der Neuentdeckung. Das Bewusstsein zu haben, dass wir das niemals verlieren werden, was wir auf der Bühne hatten und was der Tanz einem gegeben hat, ist auch immens wichtig. Ich wäre keine Filmregisseurin mit zwanzig Jahren geworden. Im Rückblick bin ich sehr froh, dass ich bis 27/28 getanzt habe und dann in meine Transition reingegangen bin. Da dieser Teil meines Lebens mich bereichert hat und jetzt mit 44 spiegelt mir das auch meine Umgebung wieder, dass es etwas Besonderes ist, diese zwei Karrieren und dieses wunderbare Leben haben zu dürfen. Tänzer:innen Mitte dreissig können sich meiner Meinung nach darauf freuen, andere Menschen mit ihren Erfahrungen bereichern zu können. Wir brauchen solche Vorbilder. Die Zeit der Transition wird nicht einfach sein, aber du wirst damit eine Vorbildfunktion eingehen. Das ist eine ziemlich gute Einstellung dem gegenüber.

Die Art und Weise wie Du rückblickend den ganzen Prozess beschreibst und wie klar du die nötigen Schritte benennen kannst, ist bewundernswert. Danke dafür, dass Du diese wichtigen Dinge auf den Punkt bringst und sie benennst.

Gerne, ich bin sehr froh darüber, dass sich das transportiert.

Wie geht es für dich weiter? Was ist deine weitere Vision, ist die schon klar und möchtest du sie uns mitteilen?

Derzeit bereite ich gerade meinen nächsten Film vor. Momentan macht es mir sehr viel Freude mit verschiedenen Menschen über meine Arbeit und mein Leben zu sprechen und mein Wissen zu teilen. Das bereichert mein Leben zur Zeit enorm. Ich freue mich auf Mehr davon, weitere interessante Filme zu machen und mit mich mit interessanten Menschen darüber auszutauschen. Ich finde dieselbe Hingabe als Filmregisseurin, die ich auch als Tänzerin hatte und das macht mich glücklich.