Portrait Marco Santi

Marco Santi hat seine Ausbildung 1976 am Teatro Nuovo di Torino in Turin begonnen. Als Eleve hat er beim Collettivo di Danza del Teatro Nuovo in verschiedenen Produktionen unter der Leitung von Loredana Furno mitgewirkt und seine Studien an der École de Danse Classique in Monte Carlo fortgesetzt. Für den Prix de Lausanne 1981 wurde Marco von Marika Besobrasova vorbereitet und gewann den Preis für die beste eigene Choreographie sowie ein einjähriges Stipendium an der Hamburgischen Ballettschule unter der Leitung von John Neumeier. Als Tänzer und Choreograph war er am Stuttgarter Ballett engagiert und hat seine eigene Tanzkompanie (Marco Santi Danse Ensemble) 1995 in Stuttgart gegründet und über 10 Jahre geleitet. In Folge war Marco als Leiter und Choreograph am Theater Osnabrück und Konzert und dann am Theater St. Gallen für beide Tanzensembles zuständig. Nach seiner letzten Saison am Theater St. Gallen hat Marco sich beruflich neu orientiert und im Bereich Gyrokinesis ausbilden lassen, sowie als MBSR Lehrer und eine Ausbildung für funktionelles Bewegungstraining und eine Anatomie Ausbildung absolviert. Nach den Prinzipen des Heart Of Yoga nach Mark Whitwell wurde er zum Yoga Lehrer ausgebildet. Weitere zwei Jahre hat er eine Ausbildung im Bereich Tanztherapie in München absolviert.

Nach 35 Jahren Tanz- /Bühnenerfahrung hat Marco sich der therapeutischen Seite des Tanzens und dem Körper und Geist zugewandt. Der Traum ein eigenes Studio zu gründen, war nach seinem beruflichen Wechsel immer sehr präsent gewesen und er hat alles dafür getan um diesen Traum zu realisieren. Ein Zentrum zu gründen, das Menschen bewegt. Ein Raum, der bewegt! Deshalb Moving Studio, der Raum der bewegt.

Bewegung ist Leben, Leben ist Bewegung. Das ist sein Motto.

Das ist auch der Grund, warum er nicht nur alles auf eine Disziplin setzt, sondern auf verschiedene Formen von Bewegung. Alles, was mit Bewegung und Achtsamkeit zu tun hat, bekommt seinen Platz im Moving Studio. Ob Workshop oder Kurs, er versucht immer bei diesem Konzept zu bleiben. Das ist die Identität und das Profil des Moving Studio.

Marco Du hast einen sehr interessanten und bewegten Lebenslauf – wie kam es dazu, dass du Dich genau für den Tanz auch gegen den Willen deines Vaters entschieden hast?

Ich hatte drei Möglichkeiten, meine Mutter hat sich sehr mit Musik beschäftigt, mein Onkel war Schauspieler und spielte Theater und fürs Fernsehen und ich war immer ein wenig mit dabei und habe das Geschehen mit verfolgt und meineTante hat Ballett gemacht. Mein Vater malte viel. Wir waren nicht unbedingt eine Künstlerfamilie, jedoch war unsere Familie von Kunst und Theater geprägt und ich war mit den vier wichtigen Bereichen der Kunst, Musik, Tanz, Malerei und Schauspiel von Anfang an in Berührung. Da ich sehr spät angefangen habe zu sprechen (mit 6 Jahren) war die Sprache damals nicht meine Stärke, obwohl ich jetzt 4 Sprachen spreche. Das hat sich mit der Zeit natürlich verändert. Ich konnte zuerst über die Sprache meine Gefühle nicht besonders gut ausdrücken. Weswegen, glaube ich, mir der Tanz besonders nahe lag. Meine Tante, die auch eine Ballettschule hatte, in der ich schon mittrainieren durfte und ich haben viele Tanzfilme zusammen angesehen, was sicherlich auch prägend war. Das hat den Wunsch Tänzer zu werden beeinflusst. Der absolute „Turning Point“ für mich war jedoch, als ich das erste Mal Maurice Béjart gesehen habe mit 7 Danses Grecques und Bolero: 40 Männer auf der Bühne, das war beeindruckend. Ich weiss noch, mein Herz hat das erste Mal ungemein pulsiert, als ich das gesehen habe. Nach dieser wahnsinnig tollen Aufführung war für mich klar, dass ich Tänzer werden muss! Ich hatte keine andere Chance. Zu dem Zeitpunkt war ich 11 Jahre alt, was ja noch sehr jung ist. Aber von da an war es für mich ganz klar. Das ist es! „Ich war sowas von hellauf begeistert“, lacht Marco. Dann habe ich auch sofort mit dem Training begonnen, obwohl mein Vater mir das erstmals verboten hatte. Er schickte mich in eine Judoschule, mit der Vereinbarung den gelben Gürtel zu machen, dann wollte er erneut mit sich sprechen lassen. Das Ziel hatte ich natürlich sehr schnell erreicht und nach einem Jahr begann ich dann wirklich intensiv mit dem Tanztraining. Ein gutes Argument meinerseits war auch, dass mein Vater für Judo zahlen hätte müssen und für Tanz hatte ich ein Stipendium bekommen. Also brauchte ich nur sein Einverständnis dazu. Nachdem es zu einer Trennung meiner Eltern kam war klar, dass ich auch ohne sein Einverständnis tanzen würde. Er hatte jedoch durch das Stipendium der Tanzakademie auch gemerkt, dass es für mich eine berufliche Zukunft als Tänzer geben kann. Später hat er alles unterstützt, was ich gemacht habe. Als ich mit 18 Jahren den Prix de Lausanne gewonnen hatte, war für ihn dann endgültig der Moment gekommen, an dem er sehen konnte: Tanz ist auch „Sport“. Er selbst war ein sehr sportlicher Mensch und das Sportliche, das Kompetitive im Tanz gefiel ihm. Er war natürlich stolz als ich 2 Medaillen bekam und ihm war klar, dass ich es ernst meinte. Irgendwie war es für ihn dann auch Ok. Bis dahin war es sehr schwer für mich gewesen, da mein Vater Tanz nie als Beruf erkannt hatte. Er wollte eher einen Beruf für mich, mit dem ich seiner Meinung nach auch sicheres Geld verdienen würde. Er selbst war Schlosser und hatte eine Fussballmannschaft, sodass das, was ich wollte komplett ausserhalb seiner Welt und Vorstellungskraft war. Ich kann das nun verstehen, dass er meinen Wunsch Tänzer zu werden damals gar nicht nachvollziehen konnte.

Hat Dich das dadurch, dass er deinen Wunsch zuerst nicht anerkannt hat, noch etwas mehr angespornt? War dein Ehrgeiz deswegen noch grösser?

Sicher. Manchmal ist es, denke ich, gut in der Erziehung nein zu sagen. Wenn dann ein Wunsch so gross ist, dass man es trotzdem machen möchte, dann findet man auch einen Weg dazu. Sein NEIN hat mich mehr motiviert, als wenn ich von Anfang an seine Unterstützung gehabt hätte. Manchmal, wenn man selbst noch nicht so klar ist und man sehr viel Unterstützung auf einem Weg bekommt, ist es fast schwieriger, finde ich. Das ist auch ein Zuviel an Liebe oder Verständnis. Ein NEIN kann dann viel mehr wirken als ein JA. Natürlich hatte ich auch die Unterstützung von meiner Mutter, meiner Tante und meinem Onkel. Die Familie stand immer hinter mir. Das hat auch sehr geholfen. Ein weiterer grosser Schritt war ein Stipendium an der besten Schule der Welt zu bekommen, der Ballettschule in Hamburg unter der Leitung von John Neumaier. Das hat mich sehr viel weiter gebracht. Es ist verständlich, dass man sich Sorgen um den Berufsweg macht, wenn man keinen Erfolg hat. Jedoch sprachen die Erfolge damals von Anfang an für sich. Ich habe in Folge alles gemacht, was ich machen wollte. Darüber bin ich sehr glücklich. Nach der Entwicklung von 30 eigener Stücke, Arbeiten in der Oper, im Schauspiel und von Tanztheaterproduktionen bin ich sehr zufrieden, mit dem was ich machen konnte. Ich hatte alles gemacht und alles probiert. Der Moment war gekommen, an dem ich mich gefragt habe: Was jetzt?! Ich habe sehr früh, sehr viel gemacht und erreicht, sodass es dann den Punkt gab, an dem ich gespürt habe, dass ich mich weiterentwickeln möchte. Da als Tänzer und Choreograph unglaublich viel von einem abverlangt wird und die Berufe sehr viel Leidenschaft und Hingebung benötigen, ist es nicht möglich das nur halbherzig zu machen. Das geht nicht. Das war der Zeitpunkt meine wunderbare Stelle, die ich als Leiter der Tanzkompagnie St. Gallen innehatte, abzugeben. Natürlich hätte ich das noch weiter machen und vom Erbe der erfolgreichen Stücke leben können, jedoch hätte mich das nicht mehr so erfüllt. Da wollte ich ehrlich zu mir selbst sein. Es ist klar, dass man ein Produkt im Theater ist. Das Boxoffice muss funktionieren. Sobald ich das erkannte, dass ich als Rädchen im ganzen Getriebe funktionieren muss, konnte ich mich entscheiden, ob ich immer dasselbe abliefern wollte oder tatsächlich die Zeit für einen neuen Schritt gekommen war. Für mich war klar, dass das keine Kunst mehr ist, vom Erbe zu leben und immer das gleiche abzuliefern, damit ich Geld verdiene. Kunst und Geld verdienen, das sind für mich zwei verschiedene Dinge. Es hat sehr lange gut funktioniert und ich konnte eine Möglichkeit für mich finden, wie ich meine Stücke machen kann, sodass sie erfolgreich und gleichzeitig für mich nochmals nährend sind. Trotzdem war das dann irgendwann für mich nicht mehr genug, um das noch weitere 10 oder 15 Jahre machen zu wollen und zu können.

Ab einem gewissen Alter kommt auch der Punkt, an dem es nicht mehr möglich ist jeden Tag mehr als 12 Stunden zu arbeiten. Das geht mit 50 nicht mehr, wenn man ein kleines Team hat. Ist das Team gross genug, um auch Aufgaben delegieren zu können, dann gehen so lange Arbeitstage noch. In dem kleinen Team von 2 Personen, in dem wir gearbeitet haben und einer Compagnie von 14 Tänzern mit 80 bis 90 Vorstellungen pro Jahr und 8 Produktionen, wo alles mehrere Spielzeiten im Voraus geplant und gemacht werden muss und dann noch die Einstudierung und Leitung der Produktionen in der aktuellen Spielzeit ging das nicht. Das ist Knochenarbeit. Irgendwann war ich nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern in den nächsten Spielzeiten und zusätzlich auch noch in der aktuellen und studierte auch noch Stücke der letzten Spielzeit ein. Manchmal wusste ich nicht mehr in welchem Jahr ich mich aktuell befinde, so intensiv war das. Das hat mich nun zu dem Punkt gebracht, an dem ich jetzt bin. Momentan ist mir sehr wichtig ist, was im Jetzt ist. Mit allem aufzuhören und wegzugehen, war für mich die einzige Möglichkeit, um das Jetzt leben zu können.

Der tatsächliche Bruch war ein Burnout und somit der Beginn meines jetzigen Weges. Der Auslöser war, als ich für 7 Monate flach in einer Klinik lag und ich mich entscheiden musste, was mache ich nun. Der Zeitpunkt kam unfreiwillig aus einem gesundheitlichen Zustand heraus, der sehr heftig war und ich hatte keine andere Wahl. Ich hatte ja fast 50 Jahre meines Lebens mehr oder weniger nur für den Tanz gelebt und da hat sich ganz klar die Frage gestellt, wenn ich noch 30 bis 40 Jahre zu leben habe: wie will ich diese Jahre gestalten? Ich habe karrieremässig alles erreicht, was ich wollte. Über fünf Jahre gab es kaum einen freien Tag. Alles was ich machte, war in Verbindung mit dem Theater, entweder als Vorbereitung für neue Tanztheaterstücke oder andere Projekte. So hatte ich kaum Zeit für mich. Jedoch hatte ich immer das Gefühl noch mehr machen zu müssen, damit ich auch zufrieden bin. Zeitlich gab es jedoch nicht mehr Raum. Da hatte ich immer noch nicht alles gemacht, was ich wollte.

Du hast in Folge zahlreiche Ausbildungen gemacht: MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), Gyrokinesis, Yoga und die Ausbildung zum Tanztherapeut in München.

Die Ausbildung zum Tanztherapeuten ist in der Schweiz nicht anerkannt und das müsste man auch am Besten in einer Klinik ausüben, weswegen ich das dann für meinen weiteren Weg weggelassen habe, da ich da schon meine Vision von einem eigenen Studio hatte und mir klar wurde, dass das nicht wirklich das ist, was ich machen möchte. Die Tanztherapie Ausbildung hat mir jedoch eine fantastische Basis gegeben, um eine hochwertige kreative Tanzstunde gestalten zu können und mehr wollte ich auch nicht wirklich erreichen.

Die Vielfalt des Angebots in deinem Moving Studio ist unglaublich. Wie kam es dazu, dass Du den Wunsch hattest ein eigenes Studio zu haben?

Das erste was mich nach den 7 Monaten sofort interessiert hat, war Gyrokinesis, da ich das während meiner Ausbildung zum Tänzer bereits kennengelernt hatte. Ich habe immer Lehrer eingeladen, die das auch für meine Compagnie angeboten haben. Das ist eine wunderbare Form um alles wieder mal in Funktion zu bringen. Die Ausbildung hierzu hatte ich in Zürich bei Hideto Heshiki und Juliu Horvath in Münstertal gemacht. Dann habe ich MBSR zur Stressbewältigung nach Jon Kabat-Zinn kennengelernt und das ist genau das, was mir in den 7 Monaten Klinik sehr geholfen hat. Das war ein Werkzeug, das ich immer wieder zur Hand nehmen konnte und mir wieder einen Boden gegeben hat. Aus meiner eigener Erfahrung entstand der Wunsch das auch anzubieten, da das das einzige war, was mich wieder richtig auf die Beine gestellt und mir den Mut gegeben hat, mein letztes Stück im Theater abzugeben und dann wegzugehen. Ich hätte es nicht geschafft, glaube ich, hätte ich diese Methode nicht gehabt. Ich hatte sogar Schwierigkeiten ein Theater überhaupt zu betreten. Ich habe angefangen zu zittern, mir wurde übel und ich habe Panikattacken bekommen. Ich musste eine Verhaltenstherapie machen, um das Trauma heilen zu können, damit ich überhaupt nochmal in diese Räume gehen konnte. Es war mir nicht mal möglich die Räume zu sehen, ohne dass mir übel wurde. Die körperliche Reaktion war so heftig und der Widerstand enorm, dass es mich selbst überrascht hatte. Es stellte sich zu dem Zeitpunkt wirklich die Frage, ob ich es schaffen kann, die Räume nochmals zu betreten, um das letzte Stück abzugeben, was damals zuerst eindeutig nicht möglich war. Ein sehr guter Therapeut hat mir dann geholfen, damit ich zurückgehen und den wichtigen Schritt machen konnte, mit diesem Teil meines Lebens abzuschliessen und mich zu verabschieden. MBSR hat mir zudem eine Möglichkeit gegeben rechtzeitig anderen Menschen in Stresssituationen helfen zu können, da ich selbst sehr gute Erfahrungen damit gemacht habe.

Die Pflege der Achtsamkeit mache ich primär auch für mich. Ich befinde mich aktuell selbst auf diesem Pfad und möchte auf diesem Weg andere Menschen, die das Bedürfnis hierzu haben mit meinem Angebot mitnehmen. Das ist derzeit meine eigene Reise und mein Weg, der auch vom Buddhismus beeinflusst ist und für mich Sinn gibt. Yoga gibt mir zusätzlich noch die Möglichkeit Entspannung zu bieten, bei der man sehr achtsam und bewusst umgeht. Ich habe eine wunderbare Lehrerin kennengelernt, Susanne Däppen, die die Praxis des Hatha Yoga auf der Basis von Mark Whitwell, the Heart of Yoga, unterrichtet und das möchte ich auch an meine Kursteilnehmer weitergeben. Das ist sehr atmungsorientiertes Yoga und eine Art bewegte Meditation und reine Achtsamkeit. Es ist nicht spirituell oder esoterisch sondern sehr pur und authentisch und passt somit perfekt zu MBSR.

Für die Krankenkassenanerkennung war es noch wichtig einen Anatomiekurs, also ein funktionelles Bewegungstraining anzubieten und damit kamen auch Kunden zu uns ins Studio, für die es wichtig war, ihre Stunden von der Krankenkasse anerkannt zu bekommen. Damit war das Angebot für das Studio für mich rund und stimmig. In Summe waren es bis jetzt 5 Jahre Ausbildung. Ich möchte noch weitere Ausbildungen hinzufügen, wie zum Beispiel Meditationsleiter im Tibet-Institut in Rikon, das von Dalai Lama in den 60er Jahren mit gegründet wurde und für mich tiefer gehen. Das ist mir wichtig, die Wurzel des Buddhismus genauer kennen zu lernen. Das gibt auch eine Form von Schutz, da man in dieser Arbeit in viele verschiedene mentale Situationen kommt und da hilft mir das dann in der Praxis. Die buddhistische Psychologie ist auch etwas, was mich tiefer interessiert. Zuerst mache ich das, wie gesagt, für mich und in Folge kommen einfach weitere Leute dazu, denen ich das, was ich erfahren habe weitergeben möchte. Das ist zuallererst ein Geben und Nehmen. Diesen Weg möchte ich die nächsten 40 oder 50 Jahre beschreiten, da er mich ausfüllt und ich auch gerne erforsche und das Erforschte weitergebe.

Wenn wir alle aufhören würden zu suchen und mit dem was anfangen würden, was alles schon da ist, wären wir so viel glücklicher. Das ist genau der Punkt. Das ist auch der

Ausgangspunkt für alle möglichen Krankheiten, dass die Menschen zu sehr auf der Suche sind und zu wenig geschehen lassen und das Leben nicht zulassen wollen. Wenn man weiss, wie man Stress in seinem Leben vermeiden kann, macht das das Leben so viel leichter und lebenswerter. Schon allein zu sagen, ich suche nicht mehr, sondern schaue, was zu mir kommt, so kommt man in den Fluss. Das Team im Studio stimmt derzeit und es funktioniert sehr gut. Jeder ist für sein Angebot verantwortlich, das gibt eine besondere Qualität. Wenn man authentisch ist und eine Verbindung zu seinen Teilnehmern aufbauen kann, dann funktioniert es. Ich trage die Verantwortung für die gesamte Organisation, aber jeder ist für seinen eigenen Kurs verantwortlich.

Das Moving Studio habe ich in den letzten zwei Jahre aufgebaut, nachdem ich zuerst Räume für meine Kurse gemietet hatte kamen die Räume auch irgendwie zu mir. Sie hatten mich sofort überzeugt, obwohl ich noch nicht wirklich bereit dafür war, da die Ausbildung noch nicht zu Ende war und ich das Geld noch nicht hatte. Aber das gehörte dazu, dass ich unreif mit all möglicher Hingabe diese Räume aufgemacht habe. Jetzt gibt es einen Pool von Leuten, mit denen ich eine gute Zukunft sehe. Die Räume passen einfach perfekt zu unserem Angebot.

Im Moving Studio biete ich alles an, was dem Menschen gut tut. Kurse, die mit Leistung zu tun haben, passen für mich nicht. So habe ich auch das gesamte Angebot ausgewählt. Ich hatte in meinem Leben genügend mit Leistung zu tun, sodass nun nur Bereiche, die ein therapeutisches Ziel verfolgen, für mich stimmen.

Das klingt nach einer grossen Investition, die Du tätigen musstest. Wie hast Du das finanziert und wie wurdest Du da unterstützt?

Meine Ausbildung wurde finanziert. Da habe ich eine grosse Unterstützung durch die SSUDK bekommen. Das hat mir sehr geholfen und war genial. In das Studio habe ich selbst, zusammen mit „Friends & Family“ sozusagen, investiert. Da gab es keine Unterstützung. Es gibt zu viele Studios mit ähnlichem Angebot, jedoch keines mit der Vielfalt. Es war eine rein private Initiative und ich zahle das über die Jahre zurück. Momentan reinvestiere ich den Verdienst wieder in das Studio, für das Inventar, die Miete und Werbung usw. Irgendwann freue ich mich auch davon leben zu können. Ich hatte es mir etwas leichter vorgestellt aber das Angebot für die kleine Stadt St. Gallen ist sehr gross. Für mein Studio spricht allerdings das vielfältige und qualitätsvolle Angebot, aus dem jeder Teilnehmer das für ihn passende auswählen kann. Schüler und Lehrer müssen natürlich auch zusammen passen, das ist ein Austausch, der stimmen muss.

Es ist schön zu sehen, dass Du einen Weg finden konntest, der für Dich passt.

Ich komme auf die Schule der Achtsamkeit zurück. Da ist alles drin. Es besteht aus Geduld, aus Akzeptanz, aus Vertrauen, Zulassen und dem Loslassen. Ich kann natürlich nicht nur passiv sein, aber man muss das Leben auch geschehen lassen. Man muss nicht nur wollen. Als ich das erste Mal bei einem MBSR Kurs gehört habe „den Moment nicht zu bewerten“, kamen mir die Tränen, da ich bis dato immer bewertet wurde und bewertet habe, besonders auch mich selbst. Für mich war alles nur mit Wertung verbunden: ich werde betrachtet, ich werde beobachtet, ich werde bewertet. Das ist so als Künstler. Der Moment mich davon zu lösen und den aktuellen Moment nicht zu bewerten, das war für mich wie eine einzige Befreiung. Das hat eine enorme Tür aufgemacht. Wenn ich Dich bewerte, dann bewerte ich mich selbst automatisch und nur wenn ich versuche nicht zu werten, dann bin ich frei.

Es ist unheimlich schwer, nicht mehr zu werten, es ist sogar fast unmöglich, aber man kann es reduzieren. Das ist tagtäglich eine riesige Herausforderung.

Wie sieht nun dein Alltag aus?

Ich beginne meinen Tag gegen 7 oder 8 Uhr. Zuallererst mache ich meine Yoga Übungen und Meditation ungefähr 15 bis 60 min: ich spüre zuallererst, wie mein Körper sich anfühlt. Die tägliche Begegnung mit mir selbst morgens macht alles einfacher und bringt mich auf eine andere Ebene. Dann mache ich alles organisatorische, lese E-Mails am Vormittag und gebe dann Kurse, die ich zuvor vorbereitet habe, Vormittags- oder Abendkurse. An Wochenenden absolviere ich Weiterbildungen oder ich gebe Workshops. An freien Tagen gehe ich an einen Ort in der Natur, an dem ich mich entspannen kann. Es ist ein dichtes Programm, da ich den organisatorischen Teil komplett alleine bestreite: Verträge, Marketing, Werbung, das Programm, die Räume in Ordnung halten usw. Auch die Buchhaltung ist riesig und nicht unbedingt meine Stärke. Das ist eine Beschäftigung die mich von morgens bis abends ausfüllt. Ich gebe 15 bis 20h pro Woche Kurse. Das ist reine Unterrichtszeit, wobei das Organisatorische jedoch viel mehr Platz einnimmt.

Das alles erfüllt mich sehr und jedes Mal, wenn ich die Räume des Moving Studio betrete fühle ich mich dankbar und glücklich, dass ich mich nicht mehr „bücken“ und dankbar sein muss, dass ich arbeiten darf. Ich habe nun niemanden mehr, der für mich bestimmt oder entscheidet. Das ist reine Freiheit und dafür bin ich bereit alles zu geben um das zu erhalten.

Gibt es für Dich Parallelen zwischen deiner Tanzkarriere und der Achtsamkeitspraxis?

Hätte ich die Achtsamkeitspraxis früher kennengelernt, wäre mein Fortschritt sicher viel grösser gewesen und ich hätte den Moment mehr gelebt. Sicherlich auch viel mehr Spass gehabt. Ich hatte eine tolle aber sehr harte Karriere. Die Solokarriere war geprägt von Leistung und damit wurde ich von morgens bis abends bewertet und auch ich habe mich selbst immer bewertet. Wenn das Publikum die Vorstellung toll fand und ich das Gefühl hatte, heute schlecht gewesen zu sein, hatte das eine grosse Auswirkung. Die Selbstbewertung war so hoch. Das war auf einer Ebene, die mich über die Jahre fast ruiniert hat, da ich mit mir selbst unglaublich streng war. Man kann zwischen Selbstliebe und Egoismus schauen, was da ist. Hätte ich mir früher mehr Selbstliebe und Mitgefühl entgegen gebracht, hätte ich mehr Spass gehabt, in allem was ich getan habe. Ich würde sagen, es war toll und es waren grandiose Momente dabei, aber der Leistungsdruck war enorm. Das war immer so. Auch als Choreograph war ich Perfektionist. Ich war damals nicht bereit für Achtsamkeit oder ähnliches. Ich fand es damals esoterisch und konnte keine Verbindung herstellen. Ich war erst offen dafür, als ich am Boden war. Da habe ich erkannt, dass das nichts mit Esoterik zu tun hat. Es wäre schön gewesen, früher dafür offen gewesen zu sein. Es ist alles immer da. Man muss nur offen und bereit dafür zu sein es auch zu sehen. Es geht um unsere Wahrnehmung. Wir funktionieren nur mit dem, was wir machen müssen. Das macht uns auf die Dauer aber nicht glücklicher. Deswegen gibt es auch so viele Burnouts. Es muss etwas in unserem Leben geschehen, damit man sich plötzlich dafür öffnen kann. Es muss ein Shifting geben, ein Kind oder eine Trennung oder eben Krankheit, damit man bewusst da rein gehen kann. Ein Kind ist Achtsamkeit pur. Kinder leben nur jetzt. Da kann man sehen, wie ein Geist funktioniert. Buddhismus ist keine Religion sondern die Forschung, wie der Geist funktionieren kann. Es geht darum, den Geist zu trainieren um die Aufmerksamkeit steuern zu können. Sich mit allem zu beschäftigen, was im Moment schon da ist. Das füllt Kinder komplett aus. Das ist ein grosses Privileg.

Was würdest Du Künstlern, die noch mitten in Ihrer Karriere sind, mitgeben wollen von deinen Erfahrungen, von deinem Weg?

Das ist schwer zu sagen, was ich ihnen mitgeben kann. Es ist mehr die Frage, was können sie sehen: Bleibt wach und seht Euch um, was alles schon da ist. Mit allem was man hat etwas zu machen und aufhören zu suchen, das ist essentiell. Die Suche besser, etwas anderes oder kommerziell zu sein, das ist keine Kunst. Das ist der Tod. Mit allem zu arbeiten, was im Moment da ist und damit authentisch zu sein, das ist meines Erachtens das Geheimnis. Ich kann momentan keine Tanzperformance sehen, da ich den Druck sehe, die physische und psychische Anstrengung. Auch wenn ein Schauspieler oder Sänger auf der Bühne ist, der nicht in der Lage ist, sich aus diesem Druck zu öffnen und ich den Schmerz sehe, macht mich das krank. Ich kann das nicht mehr ansehen. Im Tanz ist das noch viel häufiger, da so vieles vorgegeben ist und es wenige Stücke gibt, die wirklich ehrlich sind. Man sieht, ob es authentisch ist. Wenn man aufhören würde zu sagen „ich muss“ und stattdessen „ich darf“ tanzen, ein Stück machen, in dem ich mir erlaube zu sein, wie ich bin, authentisch auch auf die Gefahr hin, dass ich nicht gefalle und man nicht „Fashion“ oder Trendsetter ist, das finde ich interessant. Ehrlich mit sich selbst und mit seinen Fehlern zu sein, gibt eine Chance, dass man ein gutes Stück macht. In den ersten Stücken von Anna Teresa de Keersmaker und Meg Stuart war alles da. Das waren Bomben von Authentizität. Sie haben sich leider auf dem Weg wirklich verloren. Durch viel Geld und viele Möglichkeiten ist die Tiefe komplett weggegangen. Sie haben den Markt bedient in Ihrer Kategorie, der Avantgarde. Das Risiko sich auf dem Markt zu verlieren ist enorm. Schade, dass sie das Vertrauen in sich selbst verloren haben. Die Authentizität in allem was man macht zu behalten, andauernd zu forschen, zu gucken, zu wissen, warum man etwas macht, das ist eine Qualität, die ich leider noch viel zu selten sehe. Man sieht es immer wieder bei frischen jungen Choreographen, da sie noch nicht an die Karriere denken oder daran damit Geld zu verdienen. Sie machen noch etwas aus dem Moment und nicht nur kommerzielles.

„Verlier Dich nicht und bleibe authentisch!“, das wäre vielleicht meine Botschaft. Man sieht und merkt das. Diejenigen, die authentisch bleiben, bleiben auf Dauer bestehen. Diejenigen die sich verkaufen oder den Markt versuchen zu bedienen, die verlieren sich sehr schnell. Vielleicht kann man 3 Jahre so arbeiten, nicht mehr. Es ist eine grosse Kunst authentisch und ehrlich zu bleiben und eine grosse Herausforderung auf der Welle zu bleiben, in jedem Bereich.

Das Gespräch führte Monika Gugganig.